Mediendefizite nicht nur im Osten:
Die Menschen vor Ort rückerobern!
Ist Mediendeutschland im Jahr 31 nach der Wiedervereinigung immer noch zweigeteilt? Ja, meint nicht nur die Linkspartei in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und hat einen Forderungskatalog für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgelegt. Im Zentrum steht dabei eine Art medialer Solidaritätszuschlag. Ein Prozent des Rundfunkbeitrags soll explizit an die ARD-Anstalten im Osten fließen.
Die Argumentation ist bekannt. Es finden sich kaum Menschen mit ostdeutscher Biografie in den Führungspositionen. Bei den zwölf Anstalten gibt es nur beim MDR mit Karola Wille eine Intendantin aus dem Osten, bei den 21 Programmdirektorinnen und -direktoren sind es ganze zwei. Auch strukturell dominiert der alte Westen. Von den mehr als 50 Gemeinschaftseinrichtungen der ARD finden sich ebenfalls gerade einmal zwei im Osten.
Ja, es wäre zu begrüßen, wenn im Zuge eines „Mediensoli“ auch der rbb mehr Geld für Brandenburg zur Verfügung hätte. Denn im Moment sieht der dort laufende Umbau von Struktur und Programm eher danach aus, dass sich die Dominanz der Berliner Masurenallee noch verstärkt und an anderen Standorten abgebaut wird.
Auch der Vorschlag unseres Bundesvorsitzenden Frank Überall, eine neue Talkshow explizit mit Ostthemen und Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Ostdeutschland im Ersten Programm zu platzieren, hat was. Dann aber - bitte bitte - mindestes eine der anderen streichen.
Allein löst dies das Problem nicht. Natürlich ist es fatal und auch unjournalistisch, wenn vom Osten das Bild von „Dunkeldeutschland“ mit Klischees wie Abgehängtheit, Rechtsrock und Fernsehballett gepflegt wird. Klischees statt Recherche. Das gibt es genau so auch in westdeutschen Gegenden. Das Defizit macht sich dort nur (noch) nicht so laut und deutlich bemerkbar.
Seit langem wird in den meisten Medien am Redaktionellen gespart, und das vor allem im Regionalen. Lokalredaktionen werden eingestellt oder zusammengelegt. Früher wohnten die Berichtenden vor Ort, waren Teil des Gemeinwesens und begegneten den Menschen nicht nur in ihrer professionellen Rolle. Heute wird über kleinere Orte meist nur aus der Ferne und aus dritter Hand berichtet. Damit haben viele Medien – in Ost wie West – den Kontakt zu ihren Nutzerinnen und Nutzern verloren. Diese finden sich mit ihrem Alltag in der Berichterstattung nicht mehr wieder.
Hier muss ein Umdenken stattfinden. Gerade die öffentlich-rechtlichen Angebote müssten bei dieser „Rückeroberung“ der Menschen ganz vorn dabei sein, schließlich ist das ihr Auftrag, dafür werden sie von allen solidarisch finanziert. Wenn das gelingt, erledigt sich mit der Zeit auch die Skepsis in Ostdeutschland gegenüber dem „Westfernsehen“ von ARD und ZDF. Weil es dann keines mehr ist.
Steffen Grimberg