Editorial Newsletter
Neue Ideen für ARD und ZDF
Steffen Grimberg (Foto: privat)
Bisher gab es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk meist zweierlei: nicht umsetzbares Wunschdenken und in der Realität den kleinsten gemeinsamen Nenner. Steffen Grimberg meint in seinem heutigen Editorial: Der Plan der MDR-Intendantin Karola Wille für ein neues „gemeinwohlorientiertes Netzwerk“ aus Radio, Fernseh- und digitalen Angeboten könnte klappen: nach dem Vorbild des Jugendportals funk von ARD und ZDF. Es orientiert sich tatsächlich an Lebenswelten und Wirklichkeiten seiner Zielgruppen und scheut keine Kontroversen. Dabei zeigt funk, dass die bösen Drittplattformen wie Youtube, Facebook und Co., wenn sie richtig eingesetzt werden, auf einmal für die gute Sache genutzt werden können. Hier entstehen tatsächlich Dialog und Transparenz, die mehr sind als bloße Sonntagsrede. Was bisher für die 14- bis 29-Jährigen erfolgreich läuft, wäre ein Generationenübergreifendes Modell, wenn - ja wenn - Anstalten und Medienpolitik der Bundesländer mitmachen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht mal wieder in der Diskussion. Wir im DJV Berlin JVBB bekommen das hautnah beim neuen Staatsvertrag für den rbb mit. So wichtig hier die Arbeit am Detail („Freie in den Personalrat!“) ist, so sehr vermisse ich übergeordnete Strategien für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Systems. Es braucht innovative Gedanken und endlich Konzepte, über den Tellerrand hinausgehen. Die sich nicht wie üblich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Bundesländer und Rundfunkanstalten beschränken. Und die keine wolkigen Wunschkonzerte sind wie die großen Pläne des ehemaligen Bayerischen Rundfunk-Intendanten Ulrich Wilhelm, der eben mal auf internationaler Ebene gegen Google zu Felde ziehen wollte.
Was fehlt, sind umsetzbare Gedanken mit einer Logik, die zum Sinn und Zweck des öffentlich-rechtlichen Rundfunks passt. Jetzt gibt es sie, und die Vordenkerin heißt Karola Wille, Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks. (Disclaimer: In der Zeit ihres ARD-Vorsitzes 2016/17 war ich ARD-Sprecher.)
Den Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen in der digitalen Welt sieht Wille in einem „gemeinwohlorientierten Kommunikationsnetzwerk", das aus Radio-, Fernseh- und neuen digitalen Angeboten bestehen soll. Deren Ziel sind nicht mehr bloße Information, Bildung und Unterhaltung. Sondern die Abbildung von gesellschaftlicher Vielfalt und Wirklichkeit und die Organisation von Dialog und Transparenz. Im Mittelpunkt soll dabei immer das Gemeinwohl, der Sinn und Nutzen für alle stehen- auf Neudeutsch: „Public Value“. Wille schreibt: „Im Kern geht es dabei um die Schaffung eines gemeinwohlorientierten öffentlichen Kommunikationsraums, um Netzwerkbildung und Knotenpunkte und eine weitere Flexibilisierung der Angebotsvorgaben, Qualität und Dialog, um Transparenz der journalistischen Arbeit, um Innovation und Effizienz.“
Tatsächlich sieht das aktuelle Angebot der Öffentlich-Rechtlichen ganz überwiegend anders aus: Ritualisierter Politiktalk der immer gleichen Nasen ohne Erkenntnisfortschritt. Klamaukige Unterhaltung und Krimiflut auf allen Kanälen, während die große Doku in die Nacht versendet wird. Wenige und teure, überwiegend männlich dominierte Sportarten. Und ein genereller Nachholbedarf in Sachen gesellschaftlicher Vielfalt, weswegen jetzt allerorten „Diversity Manager“ eingestellt werden. Übrigens auch beim MDR.
Und doch könnte es klappen. Denn es gibt schon ein Vorbild: Das Jugendnetzwerk funk von ARD und ZDF macht keine - na gut: weniger - Kompromisse. Orientiert sich tatsächlich an Lebenswelten und Wirklichkeiten seiner Zielgruppen. Scheut keine Kontroversen - können Sie sich vorstellen, wie die honorigen Intendantinnen und Intendanten zunächst auf Formate wie „Fick Dich“ reagiert haben? Und lebt das Motto „Kill your darlings“, das zum Entsetzen der User auch erfolgreiche Formate immer mal wieder aussortiert. Dabei zeigt funk, dass die bösen Drittplattformen wie Youtube, Facebook & Co., wenn sie richtig eingesetzt werden, auf einmal für die gute Sache genutzt werden können. Hier entstehen tatsächlich Dialog und Transparenz, die mehr sind als bloße Sonntagsrede.
Und wo bleibt die Machbarkeit? Hier! Denn auch wenn sich die Medienpolitik aktuell mit der Reform des „großen“ öffentlich-rechtlichen Rundfunks derart schwer tut, dass man sie am liebsten gleich als gelebten Nihilismus ausrufen möchte: funk war Idee der Medienpolitik in den Ländern, nicht die der Anstalten. Dort plante man vielmehr ganz klassisch einen - immerhin digitalen - TV-Jugendkanal. Die Politik verordnete ARD und ZDF dann - zunächst zu deren großem Entsetzen - online only. Hoffen wir, dass es mit Hilfe einer klugen Medienpolitik bald auch generationsübergreifend funkt.
Steffen Grimberg