bild.live mit Lizenz zum Senden
Live-haftiger geht‘s nicht
Steffen Grimberg (Foto: privat)
Ab dem 22. August ist Deutschland um einen TV-Sender reicher. Das wäre kein Grund zu übertriebener Aufmerksamkeit, schließlich gibt es in Deutschland nach Angaben von Statista aktuell knapp 500 Fernsehkanäle, vor zehn Jahren waren es noch rund 100 weniger.
Doch dieses Programm hat es in sich. Es heißt nämlich bild.live und kommt aus dem Hause Springer. Ehrlich gesagt habe ich mich schon vor 20 Jahren gefragt, warum der Konzern mit seiner immer noch bekanntesten und vermutlich auch profitabelsten Marke nicht längst ins Geschäft mit den bewegten Bildern eingestiegen ist. Schließlich hat Axel Springer Bild immer als „gedrucktes Fernsehen“ verkauft, was er auch deswegen machte, weil ihm der Weg ins richtige Fernsehen versperrt war. Bis 1985 war nur öffentlich-rechtlicher Rundfunk erlaubt. Danach boomte das private Fernsehen. Heute sieht das angesichts der Konkurrenz durch neue Player wie Netflix und andere Streamingdienste schon etwas anders aus.
Trotz dieser Konkurrenz ist Springer optimistisch. Denn bild.live ist kein klassisches Vollprogramm wie ARD, ZDF, RTL oder Sat.1. Das Zauberwort des neuen Kanals steckt schon im Namen: Bild.live setzt vor allem auf live-Berichterstattung und live-Events. Mit der ihnen eigenen milden Hybris will der Kanal auch live News machen. Claus Strunz, der ehemalige BamS-Chefredakteur und heute einer der Verantwortlichen für das neue Programm, spricht sogar vom „livehaftigen Fernsehen“. Und das ist kein bisschen ironisch gemeint.
Hier liegt der Hase denn auch im Pfeffer: Damit bild.live sein Versprechen einlösen kann, müssen Nachrichten her - oder zumindest etwas, was man als solche verkaufen kann. Wie das geht, ist sattsam bekannt. Bild macht es in der gedruckten Ausgabe täglich vor. Doch künstlich hochgejazzte Banalitäten, Kampagnen und Verzerrungen sind definitiv kein Qualitätsjournalismus. Durch den Zwang zu senden, dürfte sich deren Schlagzahl noch erhöhen.
Andererseits macht bild.live schon heute - im Internet - einiges anders und besser. Das Publikum wird deutlich direkter einbezogen als bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Und mit dem Talk-Format „Die richtigen Fragen“ stellt sich der Kanal selbstbewusst in Konkurrenz zu den „Großen“ - Sendeplatz ist der Sonntagabend um 21.45 Uhr, wo im Ersten der ARD Anne Will talkt.
Dass bild.live mit exklusiven Zugängen zu Politik und Promis punkten kann, steht außer Frage. Und um es klar zu sagen: Politikerinnen und Politiker verbreiten heute nicht mehr nur ihre Sicht der Dinge, sondern auch wichtige Entscheidungen zuerst exklusiv über ein ausgewähltes Medium. Müssen die etablierten Kanäle und Formate deswegen vor bild.live Angst haben? Ich denke nein. Bild kocht auch nur mit Wasser und bekannten, manchmal frag- und rügewürdigen Methoden. Allerdings wird nicht der Presserat für bild.live zuständig sein, sondern die MABB als Berlin-Brandenburger Medienaufsicht für Privatsender. Von der MABB hat bild.live auch die Sendelizenz.
Falls sich jemand fragt, warum Springer wirklich mit Bild Fernsehen macht, hier noch eine etwas prosaische Antwort: Neben der Aufmerksamkeit geht es vor allem ums Geld. Im klassischen Fernsehen wird mit Werbespots auch im digitalen Zeitalter noch deutlich mehr verdient als mit der dortigen Online-Werbung. Chefredakteur Julian Reichelt gibt auch unumwunden zu, dass Bild und Springer ja schön blöd wären, sich ihr Stück vom (Werbe-)Kuchen entgehen zu lassen.
Steffen Grimberg