Facebook löscht Querdenken-Accounts:
Besser wäre unabhängige Regulierung
Es war ein kleiner Paukenschlag: Facebook hat am Donnerstag rund 150 Gruppen und deren Accounts gelöscht, die den so genannten „Querdenkern“ zugeordnet werden. „Wir haben ein Netzwerk von Facebook- und Instagram-Konten, -Seiten und -Gruppen entfernt, deren Mitglieder*innen in koordinierter Weise wiederholt gegen unsere Gemeinschaftsstandards verstoßen haben. Hierzu zählen die Veröffentlichung von gesundheitsbezogenen Falschinformationen, Hassrede und Anstiftung zur Gewalt“, teilte der Social-Media-Riese mit. Bislang nicht davon betroffen ist der ebenfalls zu Facebook gehörende Messenger-Dienst WhatsApp.
Diese Gruppen - betroffen ist unter anderem „Querdenken"-Gründer Michael Ballweg – befeuerten, so Facebook, den Mythos einer „Coronadiktatur“, die Deutschland beherrsche. „Nach unseren Erkenntnissen erstreckten sich diese Aktivitäten über mehrere Internetdienste im gesamten Netz und stellten in der Regel Gewalt als probates Mittel dar, um die Maßnahmen der Regierung zur Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte im Namen der Pandemie zu kippen.“
Das haben sie ja früh bemerkt. Aber besser spät als überhaupt nicht. „coordinated social harm“ (auf Deutsch etwa „koordinierte Beschädigung der Gesellschaft“) heißt das im Facebook-Sprech. Diese Aktivitäten hätten seit Mai 2021 nochmal massiv zugenommen und nun die Reaktion des Konzernes ausgelöst, so Facebook. Lassen wir uns nichts vormachen: Hier musste jemand zum Jagen getragen werden!
Ist nun also alles gut? Ich denke, nein. Denn im Netz führen viele Wege zu Personengruppen, die für solche Mythen anfällig sind. Chat-Dienste wie beispielsweise Telegram bieten weiter die Möglichkeit, Verwirrung und Hass zu säen, zu Gewalt anzustacheln. Vor allem aber: De facto liegt es weiter allein im Ermessen von Facebook, nach welchen Kriterien und wann sie einschreiten.
Grundsätzlich ist Selbstkontrolle ein probates Mittel zur Medienregulierung. Das zeigt zum Beispiel klar der Deutsche Presserat, in dem der DJV einer der Trägerorganisationen ist. Doch dort funktioniert Selbstkontrolle wie auch bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen als Gemeinschaftsprojekt einer ganzen Branche.
Bei Facebook dagegen kontrolliert Facebook Facebook. Das ist keine brauchbare Lösung. Schon gar nicht bei einem Internet-Giganten, für den die Gewinnabsicht stets an erster Stelle steht. Was haben wir in den letzten Jahren nicht alles an frommen Sprüchen von Google, Facebook, Twitter & Co. gehört, bei ihnen stehe die Meinungsfreiheit obenan. Daher lasse man viele Dinge durchgehen und kennzeichne sie bestenfalls als „umstritten“ oder „problematisch“. Nebbich! Da diese Posts und Debatten Aufmerksamkeit, Traffic sowie Reichweite erzeugen und sich damit für die Konzerne in bare Münze verwandeln, ließ und lässt man viele Kanäle offen, die „coordinated social harm“ verbreiten.
Ich will im aktuellen Fall Facebook keine redlichen Motive absprechen. Aber die Tatsache, dass die „Querdenkern“-Community auch im Netz immer unbeliebter wird und Werbekunden klare Anweisungen geben, dass ihre Anzeigen in diesem Umfeld nicht mehr platziert werden sollen, dürfte eine nicht ganz kleine Rolle bei der Entscheidung gespielt haben.
Vor allem aber kann es nicht sein, dass hier die Gesellschaft vom Problembewusstsein und eng damit verknüpften wirtschaftlichen Interessen eines oder mehrerer de facto ja schon übermächtiger Konzerne abhängt. Effektive Regulierung tut Not - sie muss konzernfern, unabhängig und durchsetzungsfähig sein. Und da das Löschen von Accounts in Zukunft auch legitimere Meinungsäußerungen treffen könnte als Verschwörungstheorien, muss es für Betroffene auch ein unabhängiges Beschwerdeverfahren geben. Ansonsten wird die Meinungsfreiheit für alle beschädigt. Und das wäre noch mehr „social harm“.
Steffen Grimberg