In eigener Sache:
Ein Plädoyer für Augenmaß
Am gestrigen Donnerstag ist mit einem Festakt im Deutschen Historischen Museum der Übergang des Stasiunterlagen-Archivs in das Bundesarchiv begangen worden. Die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR (BStU) ist damit Geschichte. Uns beschäftigt sie allerdings noch, und so ist diese Woche nochmals ein Editorial in eigener Sache fällig.
Zehn Mitglieder unseres Landesverbands haben sich im Zusammenhang mit der Kontroverse um den Umgang der BStU mit Medienanfragen erneut mit einem Offenen Brief an den Vorstand gewandt (siehe unser Newsletter vom 21. Mai). Ihr Verdacht, die BStU habe aufgrund von Medienanträgen zu Netzwerken der Stasi im journalistischen Umfeld eine systematische Ausforschung von Mandatsträger/innen des DJV gemacht, wiegt schwer. Ob diese Darstellung zutrifft, ist offen und mindestens umstritten.
Wir haben den Kolleginnen und Kollegen geantwortet und werden deren geplante Anträge auf Einsicht in die sie betreffenden Vorgänge der BStU nach dem Informationsfreiheitsgesetz unterstützen, um hier für Transparenz zu sorgen. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir uns ihre Darstellungen und Bewertungen zu eigen machen.
Ob die BStU bei der Bearbeitung der Medienanträge regelwidrig gehandelt hat bzw. diese Medienanträge nach dem Stasi-Unterlagengesetz (StUG) von vornherein unzulässig waren, wie der Offene Brief annimmt, wird schon seit Längerem geprüft. Auch weil nicht allein unser Landesverband betroffen ist, haben wir als Landesvorstand gemeinsam mit dem Bundesvorstand Schritte eingeleitet, um Klarheit zu schaffen. Von der BStU und ihrer Rechtsaufsicht liegen mittlerweile Stellungnahmen vor. Sie jedenfalls bestätigen keine Rechtsverstöße. Wir warten noch auf die Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz.
Die bisherige Berichterstattung in den Medien bringt dazu kaum valide Erkenntnisse, sondern ist teilweise selbst tendenziös. Wenn da suggeriert wird, dass zu einem rund 160 Namen umfassenden Personenkreis über 1.000 Seiten aus BStU-Akten an die in diesem konkreten Fall anfragende Bild-Zeitung herausgegeben worden seien, ist das schlicht falsch. Das herausgegebene Material bezieht sich auf lediglich 15 Personen, die tatsächlich mit dem MfS zusammengearbeitet haben.
[Nachtrag vom 25.06.21: Seitens der BStU werden die vom Ministerium für Staatssicherheit erstellten und gespeicherten Akten nach dem Stasiunterlagengesetz an den jeweiligen Antragsteller oder die Antragstellerin herausgegeben. Dies beinhaltet keine Aussage zur Art der Kontakte mit dem MfS. Denn eine Bewertung der Akten durch die BStU findet nicht statt.]
Wer sich hier für die Rechtslage interessiert, dem darf ich den aktuellen Beitrag von Christian Booß im „Aufarbeitungsforum Heute und Gestern“ empfehlen. Booß, selbst lange Forschungskoordinator der BStU, ist natürlich kein neutraler Beobachter. Den jüngsten Veröffentlichungen zur BStU wirft er seinerseits Parteilichkeit vor. Doch die detaillierte Darstellung der Funktionsweise der Behörde und der rechtlichen Grundlagen zum Umgang mit Stasi-Akten und Medienanträgen hat mich schlauer gemacht.
http://h-und-g.info/editorial/kontroverse-iv-stasirecherche-zu-journalisten-unrechtmaessig
Eins sollte uns allen klar sein: Das Langzeit-Thema „Stasi im DJV“, das hinter dieser Auseinandersetzung liegt, hat die Beendigung der Spaltung des Landesverbandes um Jahre verzögert. Es überschattete auch das erste Jahr im fusionierten Verband und führte den damaligen Vorstand an den Rand der Arbeitsunfähigkeit und in den kollektiven Rücktritt.
Ich bin froh, dass wir mit dem Vorstand, in den ich im September 2020 gewählt wurde, zur Sacharbeit zurückkehren konnten. Die laufende Auseinandersetzung droht leider, diesen Fortschritt wieder zunichte zu machen und die Mitgliedschaft erneut zu spalten.
Wir - der gesamte Landesvorstand - werden unsere Kraft dafür einsetzen, eine neuerliche Spaltung zu verhindern. Damit wollen wir nichts - und schon gar nicht das Thema BStU - unter den Teppich kehren oder die Debatte verhindern. Doch auch hierbei muss uns immer klar sein, wofür wir stehen: Als Verband von Journalistinnen und Journalisten steht für uns die Pressefreiheit ganz obenan. Dazu gehört, dass Journalistinnen und Journalisten bei ihrem Bemühen, an staatliche Informationsquellen heranzukommen, grundsätzlich nicht beschränkt werden sollten. Das gilt auch für die BStU. Welches Material nach Recht und Gesetz dann an sie herausgegeben werden darf oder muss, entscheiden andere – im Zweifel auch Gerichte. Für mögliche Fehlentscheidungen einer Behörde die anfragenden Journalist/innen oder ihre Medien verantwortlich zu machen, sollte nicht unsere Aufgabe als Journalistenverband sein.
Lasst uns hier bitte mit Augenmaß und Professionalität handeln. Dazu gehört die nötige journalistische Distanz in alle Richtungen, genauso wie eine gewisse Gelassenheit in der Diskussion. Zuspitzungen durch Ungenauigkeit und Skandalisierung mögen kurzfristig für medialen Erfolg sorgen. Für uns als Verband und für unsere inhaltliche Arbeit sind sie kontraproduktiv.
Steffen Grimberg
Vorsitzender