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JVBB-Roundtable zu Frauen in der Wissenschaft

Engagierte Diskussion über Quoten, Sanktionen und Sprachgebrauch


JVBB-Roundtable zum Thema Berichterstattung über Frauen in der Wissenschaft, Fotos: Michaela Grimm

Das Publikum diskutierte viele Aspekte und Genderfragen beim JVBB-Roundtable zum Thema Berichterstattung über Frauen in der Wissenschaft am Montagabend.

 

Dass Frauen in vielen sichtbaren und entscheidenden Bereichen unterrepräsentiert sind, hat für den Bereich Film und Fernsehen erst vor wenigen Tagen eine aktuelle Studie belegt, die Mitinitiatorin Maria Furtwängler in Auftrag gegeben hat. Ähnlich steht es um Frauen in der Wissenschaft, worüber beim JVBB mehr als 30 diskussionswillige Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen, Gleichstellungsbeauftragte und andere Medienmenschen debattierten und Beispiele aus ihrer Arbeitspraxis einbrachten. Dazu begrüßte die Fernsehjournalistin und Vorsitzende des JVBB-Fachforums „Familie und Beruf“ Minou Amir-Sehhi, die den Roundtable moderierte, die Ministerialrätin und Referatsleiterin „Chancengerechtigkeit in Bildung und Forschung“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung Christina Hadulla-Kuhlmann; Dr. Anja Kühne, beim Tagesspiegel verantwortliche Redakteurin für Bildungspolitik und Leiterin der Seite „Wissen“; und Ulrike Schultz, Rechtswissenschaftlerin und Akademische Oberrätin a.D. der Fernuniversität Hagen. Einige Gäste äußerten ihren Frust: Dass die Debatten zur Sensibilisierung und Sichtbarmachung seit 25 Jahren die gleichen seien, ärgerte sich eine Journalistin und sagte: „Da gehört Kampfeswillen dazu.“ Anja Kühnes Statement „ausschließlich männlich besetzte Podien sind peinlich“ fand viel Zustimmung. Kühnes Anregung: Diesen Umstand in die Berichterstattung einfließen zu lassen, zum Beispiel als Randnote. Die Tagesspiegelredakteurin berichtete von Verbandstagungen, Diskussionsrunden und Panels, bei denen Frauen schlecht bis gar nicht repräsentiert sind und verwies auf einen Zeit-Campus-Artikel, der der Frage nachgeht, warum sich Wissenschaftlerinnen seltener als ihre männlichen Kollegen in der Öffentlichkeit zeigen. Erklärungsansätze aus dem Publikum suchten das in eher männlichen Eigenschaften wie dem Machogehabe nach Art eines Gerhard Schröders zu ergründen, der mehrmals als Negativbeispiel Erwähnung fand. Einen weiteren Grund für den zu geringen Frauenanteil in sichtbaren Positionen führte  Dr. Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der AllBright Stiftung, die sich für für mehr Frauen und Diversität in den Führungspositionen der Wirtschaft einsetzt, auf "Thomasse" zurück. Ihr Beispiel: Thomas, Jahrgang 1964, pusht Thomas pusht Thomas pusht Thomas. Die Managementstrukturen im Jahr 2017 seien wenig weiterentwickelt als die der 1950er Jahre und in noch zu weiten Teilen gelte das auch für Rollenbilder.Mehrere Gäste thematisierten die Besetzung von Talk-Shows im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, eine Journalistin sagte, Expertinnen in die Sendung zu bekommen, sei nach wie vor ein Kampf, weil die allseits bekannten männlichen Experten von entscheidenden Redakteuren bevorzugt würden. Eine Kollegin merkte an, dass Expertinnen zudem schwieriger zu finden seien und bekam die Wissenschaftsplattform Academia-net empfohlen, die Profile von Forscherinnen aus allen Fachdisziplinen für Keynotes, Podien und Expertenrunden listet. Der Vorschlag, Veranstaltungen kinderfreundlicher zu gestalten, fand großen Zuspruch in der Runde. Für Frauenquoten sprachen sich viele Teilnehmerinnen aus. Das Kaskaden-Modell für Ziele für den Frauenanteil von wissenschaftlichen Karrierestufe wurde dagegen kontroverser diskutiert. Wissenschaftlerin Ulrike Schultz brachte positive Beispiele dazu ein, wie sich der Frauenanteil im juristischen Bereich bisher verbessert hat und berichtete von einem Wandel, der schon stattgefunden habe, etwa dahingehend, dass Frauen sich heutzutage mehr als früher trauen, Präsentationen zu halten. Die akademische Oberrätin und Juristin sagte, die Unterrepräsentanz von Frauen in der Wissenschaftswelt „ist nicht eine Frage des Geldes – Geld gibt's“. Dessen Verteilung sei entscheidend. Zu den vielen Vorschlägen und Wortbeiträgen aus dem Publikum gehörte die Frage, ob nicht auch Sanktionen eine Möglichkeit wären, den Frauenanteil zu verbessern oder Fördermittel auszusetzen. Konkret wurde ein Fachmagazin mit rein männlichen Autoren genannt, das Fördermittel erhalten habe. Bei ihren Kindern funktionierten Sanktionen immer noch am besten, berichtete eine Mutter und plädierte dafür, diese Methode auch bei unausgeglichenen Geschlechteranteilen anzuwenden. Projektförderungen flexibler zu gestalten und möglichen Mutterschutz oder Elternzeit für Männer und Frauen in Förderperioden einzuplanen, war eine weitere Forderung aus dem Publikum. Christina Hadulla-Kuhlmann stellte das 2008 von Bund und Ländern gestartete Professorinnenprogramm vor, für das sich Hochschulen mit einem Gleichstellungskonzept bewerben und Fördermittel für weiblich besetzte Professuren erhalten können. 500 Professorinnen sind mit dem Programm bisher berufen worden. Dass sich trotz hochwertiger Abschlüsse nur eine Minderheit der Frauen für Berufswege in die Wissenschaft entscheiden, liege weniger an Geschlechtsmerkmalen als an einem systemimmanenten Problem, sagte Christina Hadulla-Kuhlmann: „Der Faktor Frau ist der geringste, der Faktor Struktur ist höher, zeigen unsere Forschungen.“ Dem pflichtete eine Teilnehmerin aus dem technischen Bereich bei: „Der Mann-Frau-Clash ist gesamtgesellschaftlich“, sagte sie. Deshalb müssten Männer in Chefetagen und generell in der Gesellschaft für gerechtere Verhältnisse mitziehen und mit einbezogen werden, ergänzte eine Sitznachbarin.Größeren Raum in der - wie bei JVBB-Roundtables üblich - von Beginn an offenen Diskussion nahm der Sprachgebrauch ein. Mehrere Gäste kreideten an, dass eine Form wie das generische Femininum, also einschließende Bezeichnungen für Berufe und Funktionen mit –innen am Ende, noch viel konsequenter angewandt werden müsse. Dabei gehe es auch um die Sichtbarkeit von Macht.Im Publikum wurden Stimmen laut, die mehr Bewegung in der Sache forderten und sich enttäuscht zeigten, dass zu wenig daraus folgt, dass inzwischen immerhin auch die Spitzenposten in Bildungsministerien und im Kanzleramt weiblich besetzt worden sind. Minou Amir-Sehhi regte noch mal finanzielle Sanktionen an: Wer nicht genug Frauen hat, bekommt keine Förderung! Welche Stellschrauben können wir noch drehen?, wollte eine Teilnehmerin von den eingeladenen Diskutantinnen wissen. Christina Hadulla-Kuhlmann antwortete knapp: „Wählen!“ Text: Michaela Grimm

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