Mitglied werden

Gesprächsabend

Israel in den Medien

16.10.2019

Arye Sharuz Shalicar und Maya Zehden im Gespräch mit Burkhard Schröder (v.l.n.r) Foto: Bernd Lammel

„Man muss mit euch machen wie früher“

„Israel droht mit Selbstverteidigung“ - Klar doch – da sieht man mal wieder ...! Wie? Diese Überschrift geht so nicht? Doch – sie ging, und zwar im „Focus“. Und ist seitdem so etwas wie ein geflügeltes Wort geworden. Antisemitismus – das ist ein Tabuthema. Aber Anti-Israelismus – das ist „in“. Die Berichterstattung über Israel in den deutschen Medien konzentriert sich auf den Konflikt mit den Palästinensern. Über das Land selbst erfahren wir nicht viel. Der jüdische Staat ist der Aggressor und die anderen verteidigen sich. Ganz einfach. Aber stimmt das? Steckt hinter dieser Berichterstattung ein System? Und wenn ja – welches?

Darüber diskutierten Arye Sharuz Shalicar, ehemals Pressesprecher der israelischen Armee und heute Berater von Außenminister Israel Katz, mit der Berliner Journalistin und Autorin Maya Zehden, Präsidiumsmitglied der Deutsch- Israelischen Gesellschaft. Die Diskussion moderierte Burkhard Schröder, Journalist und Autor zahlreicher Bücher.

Arye Sharuz Shalicar, der Kindheit und Jugend in Berlin verbrachte, beobachtet die deutsche Presse seit Langem genau und hat ein Buch darüber geschrieben*. „Ich hatte mit Hunderten deutscher Journalisten zu tun. Nicht alle sind gegen Israel. Aber meistens geht die Berichterstattung so: Immer wieder wird Israels Reaktion zuerst erwähnt und nur im zweiten Satz, oftmals kleingedruckt, kurz angegeben, was die Gegenseite zuvor ‚mutmaßlich‘ getan hatte.“ Mit den Journalisten des „Spiegel“ hat Shalicar die meisten negativen Erfahrungen gemacht. „Die sitzen in Tel Aviv herum, genießen da das interessante Leben. Und fahren auch hin und wieder mal hoch nach Jerusalem.“

Die Journalistin Maya Zehden zitiert dazu aus aktuellen Untersuchungen: Die Korrespondenten hätten oft keine Zeit für gründliche Recherchen. Sie gingen nicht in die palästinensischen Gebiete, das würden sie sich nicht trauen. „Sie arbeiten mit Stringern, die dort leben, auch Fotos und Videos entstehen so. Die Entscheider bleiben von deren Sprache nicht unberührt.“ Allerdings, bemerkt dazu Shalicar, sei die Berichterstattung über die Türkei nicht viel besser. „Über den kurdischen Terrorismus wird nicht gern geredet.“ Deutsche Journalisten bevorzugten israelische Medien, „die ihren eigenen Vorstellungen entsprechen.“ Wie die extrem regierungskritische Zeitung Haaretz. „Haaretz hat aber die niedrigsten Verkaufszahlen in Israel.“

Er habe als Pressesprecher der IDF immer wieder versucht, so Shalicar, Journalisten aus Deutschland mit korrekten Informationen zu versorgen, organisierte Hintergrundgespräche: „Man war frech, mies und fies. Ich wurde angepöbelt. Es war enttäuschend.“ Seit 1968, als die deutsche Linke ihre Sympathien für die PLO entdeckte, spiele die Presse das Spiel der Palästinenser mit. Oft auch die deutsche Regierung. Wie bei der Debatte über „Jerusalem als Hauptstadt“. „Seit dreitausend Jahren beten die Juden nach Jerusalem. Doch hier will man sich diplomatisch neutral zeigen.“

Arye Shalicar regt sich über das neu-deutsche Wort „israelkritisch“ auf. „Dieses Wort steht sogar im Duden. Aber steht da auch syrienkritisch oder türkeikritisch oder irankritisch? Nein! Aber israelkritisch! Das Wort muss aus dem Duden verschwinden!“ Auch in Israel gebe es harte Diskussionen über die richtige Politik. „Ich selbst habe eine Menge auszusetzen. Aber Kritik sollte Positives bewirken und zum richtigen Weg führen.“ Seine eigene Kritik an deutschen Medien sei nicht Resignation oder Wut. „Ich will nicht das Handtuch schmeißen. Journalisten haben Mitverantwortung. Ich habe mein Buch für die Deutschen geschrieben. Die haben mit ihrer Vergangenheit nicht aufgeräumt. Die Juden ja.“ Und: „Deutschland sagt: Nie wieder Täter! Aber man hofiert iranische Mullahs, die die Vernichtung eines einzelnen Staates auf der Welt fordern.“ Maya Zehden ergänzt: „Die al-Quds-Demonstrationen werden bei uns geduldet. Dabei sind sie eine reine Machtdemonstration des Iran.“

Muslimischer Antisemitismus und alte deutsche Vorurteile – sind sie dasselbe? Beflügeln sie sich? Arye Sharuz Shalicar kennt beides von Kindheit an. Der Sohn iranischer Juden lebte im Berliner Bezirk Wedding, wurde als Jude von muslimischen Mitschülern angefeindet und schloss sich „aus Verzweiflung“ arabischen Gangs und Rapper- Groups an.** Später wanderte er nach Israel aus und studierte dort. Auf seiner Facebook-Seite erhält er heute Hasskommentare. Hunderte. Von Deutschen und von Muslimen. „Ich kenne eure ‚Religion‘, eure Geschichte und euer menschenverachtendes Selbstverständnis“, schreibt Jan. „Ihr seid ein Volk des Giftes und ein stinkendes Drecks Volk“, kommentiert Ali, und Hassan findet: „Man muss mit euch machen wie früher.“

„Was also kann man tun?“ will Diskussionsleiter Burkhard Schröder wissen. Die Antwort fällt schwer. Zivilcourage stärken? Kampfbegriffe wie „Apartheid-Staat“ vermeiden? Lehrer besser ausbilden? Mehr Aufklärung? Maya Zehden: „Antisemitisch – das heißt antidemokratisch sein. Man muss einen Konsens über demokratische Werte erzielen. Das ist oft schwierig. Zum Beispiel: Muss man unbedingt Frauen mit Kopftuch in die Redaktionen holen? Und: Eine Schuldirektorin sagte mir kürzlich: Jude als Schimpfwort – muss man nicht so ernst nehmen.“ Arye Shalicar erzählt, wie er für Workshops in Schulbüchern gestöbert hat. Was fand er? Zum Beispiel ein Foto mit israelischen Soldaten und Steine werfenden Jugendlichen. Bildunterschrift: „Terror und Gegenterror.“ Sieht so sachliche Aufklärung aus?

Auch Zuhörer im Publikum erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen. Etwa bei der Ausbildung von Lehrern. „Da hat sich postmodernes Gebrabbel festgesetzt, das endet immer im Antisemitismus. Angehende Lehrer sind ganz schön durch den Wind.“ Ein Sozialarbeiter aus dem Wedding: „Man ist einsam als Deutscher, ich bin hilflos und frustriert.“ „Antisemitismus ist tief verwurzelt, aber er interessiert auch keinen“ meint ein anderer Zuhörer. „Es gab nach 1945 eine Pause. Das ist alles. Man ist nicht bewusst Antisemit, aber man sagt: ‚die Siedler‘, ‚die Mauer‘.“ Das habe Tradition: „Auch fast alle großen ‚Aufklärer‘ waren Antisemiten – Immanuel Kant, Diderot, Voltaire und andere. Ihre rassistischen Äußerungen gelten heute als Kavaliersdelikte.“ Starker Tobak – aber stimmt leider.

Bernd Lammel hatte für seine Einführung des Abends eine „Jüdische Allgemeine“ aus dem Jahr 2013 mitgebracht. Aufmacher-Titel: „Steigender Antisemitismus in Deutschland“. Hat niemand auf die Warnungen von damals gehört? „Der Kampf gegen die Antisemiten existiert nicht“, resümiert Burkhard Schröder. Nur einer in der Runde macht etwas Hoffnung, Arye Sharuz Shalicar: „Damals im Wedding war ich der Ärmste, aber ich war der Jude. Ich hatte Angst und kämpfte ums Überleben. Heute bin ich sehr glücklich über das, was ich dort erfahren habe. Ich habe hinter den Linien gelebt. Bis heute habe ich muslimische Freunde. Es geht eben auch anders.“

Von Gudrun Küsel
-------------------
*Arye Sharuz Shalicar: Der neu-deutsche Antisemit. Gehören Juden heute zu Deutschland? Eine persönliche Analyse. Hentrich & Hentrich 2018 **Arye Sharuz Shalicar: Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude. Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde. Autobiografie. dtv 2010 (Das Buch wird zurzeit verfilmt)

News JVBB