Verdachtsberichterstattung
Privileg und Verantwortung der Journalisten
Ein Podium von JVBB und Deutscher Anwaltverein mit Georg Mascolo, Jörg Nabert, Gül Pinar und Jost Müller-Neuhof
Der Justiziar der ZEIT, Rechtsanwalt Jörg Nabert, berichtete, er habe die Veröffentlichungen zu Wedel vorab so genau geprüft wie kaum eine andere in seiner ganzen Laufbahn. Als Ablauf für korrekte Verdachtsberichterstattung nannte er: zunächst ein Vorwurf, der die Öffentlichkeit interessiert; dann Fakten überprüfen – auch Entlastendes überprüfen -, die Gegenseite befragen und sich nicht auf eine Seite schlagen. Am besten mit Beratung durch einen Anwalt oder Justiziar. Im Fall Wedel habe man dessen Stellungnahmen 1:1 den Aussagen der belastenden Zeuginnen gegenüber gestellt.Auf den Punkt brachte es Georg Mascolo, Leiter des Rechercheverbundes von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung: Die Verdachtsberichterstattung sei „das größte Privileg und zugleich die größte Verantwortung“ für Journalisten. Privileg, weil es nur um einen Verdacht und nicht um Tatsachen gehe. Und Verantwortung, weil sich der Verdacht später auch als falsch herausstellen könne. Anlass des Dialogs am Mittwochabend von Journalisten und Juristen, organisiert von JVBB und Deutschem Anwaltverein, war der „Fall Wedel“. Die Rechtsanwältin Gül Pinar vom Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins legte den Finger in eine andere Wunde: Oft würden ausgerechnet Staatsanwälte die Regeln der Verdachtsberichterstattung verletzen, indem sie während der Ermittlungen schon Presseerklärungen herausgäben, bei denen die andere Seite nicht gehört werde. Sie fordert, vorab den Strafverteidigern Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben – wie Journalisten das ja auch tun müssten.Jost Müller-Neuhof, rechtspolitischer Korrespondent Tagesspiegel und für den DJV im Deutschen Presserat, richtete schließlich eine Aufforderung an seine Zunft: Die Journalisten könnten darüber nachdenken, eine regelmäßige Folgeberichterstattung bei Verdachtsfällen zu fördern: Sie sollten einen Verdacht auch gegenüber den Lesern wieder wegräumen, wenn er sich in Luft aufgelöst habe.Aus dem Publikum heraus benannte schließlich der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt noch ein anderes Problem, mit dem er und andere bei Recherchen zunehmend konfrontiert würden: Als Antwort auf den Versuch, die Stellungnahme der Verdächtigen einzuholen, kämen immer häufiger sogenannte „presserechtliche Informationsschreiben“ von Anwälten, die aber zu den Fragen gar nicht Stellung nähmen, sondern nur – genannt wurde eine Anfrage an das IOC – versuchten, Berichterstattung gänzlich zu verhindern. Michael Rediske