Meinung
Was ist dran am "Manifest" für einen neuen ÖRR?
Vom „Wutbrief“ schreibt die „Berliner Morgenpost“, die Arbeitsgemeinschaft der Redaktionsausschüsse von der ARD und ZDF distanziert sich ganz ausdrücklich und unser Bundesvorsitzender Mika Beuster fordert mehr Transparenz: Was also ist zu halten von dem „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“, das eine Gruppe um den ehemaligen SWR-Mitarbeiter Ole Skambraks diese Woche veröffentlicht hat?
Zunächst einmal: Einige der in dem Aufruf angesprochenen Probleme und Reformvorschläge haben Hand und Fuß. Mehr Zeit für Recherche, weniger Schielen auf die Quote, bessere Arbeitsbedingungen bzw. Festanstellungen für die vielen Tausend freien Mitarbeitenden, Verzicht auf Outsourcing – all das sind Ziele, die auch der DJV vertritt und einfordert. Genau so verhält es sich mit der Forderung nach mehr Mitsprache der Mitarbeitenden in den Anstaltsgremien und nach mehr Dialog mit den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern. Vieles davon ist übrigens alles andere als neu, die Pflicht zu mehr Transparenz und Dialog steht mittlerweile sogar ganz ausdrücklich im Medienstaatsvertrag.
Was allerdings gar nicht geht, sind die zahlreichen mehr oder weniger deutlichen Unterstellungen im Manifest, ARD, ZDF und Deutschlandfunk hingen am Gängelband der Politik und würden in ihren Redaktionen quasi routinemäßig gegen journalistische Standards verstoßen.
Wenn „Faktenchecks“ kritisiert werden, weil sie eine „vermeintlich absolute Wahrheit, die selten existiert“ suggerierten und gefolgert wird: „Der freie gesellschaftliche Diskurs wird dadurch schmerzhaft beschnitten“, offenbart das eine sehr eigenwillige Vorstellung von Journalismus.
Da wird gefordert, „Bürgern multiperspektivische Informationen anzubieten“ was angeblich nicht passiert. „Stattdessen verschwimmen Meinungsmache und Berichterstattung zusehends“, heißt es weiter, „nur sehr selten finden relevante inhaltliche Auseinandersetzungen mit konträren Meinungen statt.“ Stimmen, die einen – medial behaupteten – gesellschaftlichen Konsens hinterfragen, würden dagegen lächerlich gemacht und als „Klima-Leugner“ oder „Putin-Versteher“ diffamiert.
Um es ganz deutlich zu sagen: Wer – wie das Manifest – behauptet, hier würde jemand „mundtot“ gemacht und fordert, der „neue Rundfunk“ solle „zensurfrei“ berichten, diskreditiert sich selbst. Eine Zensur findet statt? Das ist haargenau Argumentation derer, die ihre alternativen Fakten gegen seriösen Journalismus setzen und jede Meinung, die nicht die ihre ist, ablehnen. So viel zur im Manifest beklagten „Eingrenzung des Debattenraums“!
Wenn man sich die Liste der Erstunterzeichnenden des Manifests anschaut, begegnen einem dann auch einschlägig bekannte Namen. Ex-TV-Pastor Jürgen Fliege ist dabei, der seit Jahrzehnten mit unhaltbaren Behauptungen gegen die „Tagesschau“ schießende ex-NDR-Mann Volker Bräutigam, sein ehemaliger Kollege Patrick Baab, der die NATO hinter dem Krieg in der Ukraine wähnt, die von ihrer Universität gekündigte Professorin Ulrike Guérot, die zu Corona-Zeiten gegen Masken und Impfungen war und die der Ukraine die Schuld am russischen Angriffskrieg gibt, der Münchner Professor Michael Meyen, dessen Medien-Blog mittlerweile bei Rubikon erscheint – und viele andere mehr. Auch Skambraks, der im Impressum für das „Manifest“ verantwortlich zeichnet ist, vom SWR wegen seiner Behauptungen, der Sender habe in der Pandemie Nachrichten unterdrückt, entlassen worden.
Was einem dagegen kaum begegnet, sind Namen redaktionell arbeitender Kolleginnen und Kollegen. Auch die 33 weiteren Unterzeichner, die laut „Manifest“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten und deren Adressen bei einem Rechtsanwalt hinterlegt sind, machen den Kohl nicht wirklich fett. Kein Wunder bei einem solchen „Manifest“!
Steffen Grimberg
Medienjournalist & Vorstandsvorsitzender des DJV Berlin – JVBB